„Inselgentrifizierung“
- Forschungsprojekte
- Projektteam: Susanne Frank, Annika Guhl
- Laufzeit: seit 2020
Eigenforschung
In den gängigen Raumtypologien werden die deutschen Nord- und Ostseeinseln zu peripheren ländlichen Räumen gezählt, die durch schwerwiegende Entwicklungsprobleme wie das Fehlen einer nachhaltigen wirtschaftlichen Basis, eine schrumpfende und alternde Bevölkerung und gefährdete soziale Infrastrukturen gekennzeichnet sind. Zugleich aber werden dort Miet- und Kaufpreise aufgerufen, wie es sie sonst nur in boomenden Großstädten gibt. So hat sich der Landkreis Nordfriesland zum aktuell teuersten Landkreis in Deutschland entwickelt, der sich preislich zu München oder Frankfurt am Main einreiht. Aber auch auf vielen ostfriesischen und Ostsee-Inseln explodieren die Immobilienmärkte.
An der Wurzel dieser Entwicklungen steht die Umwandlung von Dauerwohnraum in Häuser und Wohnungen für die temporäre Nutzung durch Feriengäste oder Zweitwohnungsbesitzer*innen. Damit einher geht die starke Verknappung bezahlbaren Wohnraums für die Dauerbevölkerung sowie auch für die für das Gastgewerbe unabdingbaren saisonalen Arbeitskräfte. Diese immer häufiger als "Inselgentrifizierung" bezeichneten Entwicklungen bedrohen wiederum ausgerechnet den Tourismus, der in diesen räumlich isolierten Kontexten die einzige Grundlage der lokalen Wirtschaft darstellt. Die Bekämpfung der Wohnraumproblematik wird erschwert durch aus der Klein- und Mittelstadtforschung bekannte lokale Governance-Konstellationen: Die finanziellen und personellen Ressourcen der planenden Verwaltung sind begrenzt, fachliche Qualifikationen fehlen. Zudem sind die Akteursstrukturen gekennzeichnet durch ehrenamtliches politisches Engagement, starke persönliche Verflechtungen und Rollenkonflikte.
Wir finden auf den Inseln also eine bislang weitestgehend unerforschte Gemengelage aus ländlich-peripheren, großstädtischen und kleinstädtischen Dynamiken vor. Dieses Spannungsfeld bildet den Hintergrund, vor dem wir die „Wohnungsfrage“ und ihre gravierenden sozialen und ökonomischen Folgen für die deutschen Ferieninseln untersuchen. Forschungsfragen sind:
- Vor welchen ökonomischen, sozialen, demographischen und infrastrukturellen Problemen stehen die Inseln? Von wenigen Ausnahmen abgesehen gibt es hierzu bislang vor allem journalistische Arbeiten. Vor allem fehlen systematische vergleichende Analysen.
- Welche inselübergreifenden und welche inselspezifischen Ursachen lassen sich ausmachen?
- Welche Konzepte sind angemessen, um die vorherrschenden Probleme zu beschreiben und zu deuten?
- Gentrifizierung? Wenn ja, um welche Art von Gentrifizierung handelt es sich (tourism gentrification, rural gentrification, island gentrification…)?
- „Syltifizierung“ / „Versyltung“? Was unterscheidet die anderen Inseln von Sylt?
- Touristifizierung? Over-tourism?
- Amenity migration und Multilokalität?
- Wenn das alles nicht richtig passt: Welche Konzepte wären besser geeignet?
- Welche Möglichkeiten gäbe es, dem Wohnungsproblem zu begegnen? Warum werden vorhandene politische und planerische Instrumente so selten angewandt? Warum gestaltet sich die inselübergreifende Suche nach Lösungen so schwierig?
- Wie stellt sich die Situation auf den Inseln im internationalen Vergleich dar?